Einblick ins Vorwort meines Buches: "WER ist hier anders?":
Wir sitzen beide an einem Tisch neben dem Spielplatz. Sie trinken einen Espresso und ich einen Tee. WER von uns ist anders?
Wir beobachten drei Kinder, die im Sandkasten spielen. Ein Kind spielt nur mit Unterhose bekleidet freudig mit dem Sand. Es spielt „mit dem ganzen Körper“. Der Sand klebt an seinem Körper. Im Sand zu spielen, macht ihm viel Spaß. Das andere Kind steht hinter dem Sandkasten. Instinktiv möchte es möglichst wenig mit Sand in Berührung kommen. Die feinen, piksenden und unkontrollierbaren Sandkörner stressen das Nervensystem des Kindes. Um ein Wohlgefühl wieder herzustellen, macht sich dieses Kind dauernd die Hände sauber. Es mag keinen Sand an den Fingern. Ein drittes Kind hockt im Sand und schaufelt gedankenverloren.
Welches Kind ist anders?
„Unsere Toleranz wird getestet, wenn man in der Mehrheit ist. Unser Mut wird getestet, wenn wir in der Minderheit sind.“
Der Autor dieses Zitats ist unbekannt.
Die Mehrheit bestimmt oft das, was wir als „richtig“ wahrnehmen. In unserer Spielplatz-Wahrnehmung wird häufiger das Bild bestätigt, dass Kinder Spaß im Sandkasten haben. Wie ist Ihre persönliche Wahrheit? Welches Kind ist jetzt anders? Ich verrate Ihnen etwas aus meiner persönlichen Sicht und Erfahrung: Jedes Kind verhält sich genau richtig. Es ist für jedes Kind das stimmigste Verhalten in dieser Situation. Wieso? Darum geht es in diesem Buch.
In der jahrzehntelangen Arbeit mit Kindern in einem Frühförderzentrum durfte ich sehr viele Kinder und deren Familien begleiten. Ein Großteil der Schwierigkeiten oder Besonderheiten der Kinder lag in der Wahrnehmungsverarbeitung der vielen Sinneseindrücke. Ich erlebte die vielen Zusammenhänge zwischen Besonderheiten und Verhalten, aber auch Zusammenhänge, die sich auf das familiäre Umfeld und sogar darüber hinaus bezogen.
Meine physiotherapeutischen Kenntnisse wurden durch meine psychomotorische Ausbildung und mein großes Vertrauen in diesen Ansatz erweitert und belohnt.
Auch wenn es das Kind betrifft, das eine Besonderheit in seiner Wahrnehmungsentwicklung erfährt, bedarf das gesamte Familiensystem der Einbeziehung.
Mit der Ausbildung zur Systemischen Beraterin konnte ich den Familien beratend zur Seite stehen und mit ihnen gemeinsam Ressourcen finden und bewusst einsetzen. In diesem Verstehen kann Förderliches wachsen – für die Kinder und für die Bezugspersonen. In diesem Buch sind meine persönlichen Erfahrungen zusammengestellt. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
In Fortbildungen für Erzieher*innen ermögliche ich anhand von vergleichbaren Situationen im Erwachsenenleben, Anregungen zur Selbsterfahrung und Möglichkeiten der Selbstreflektion einen Zugang in die besondere Welt eines Kindes mit Wahrnehmungsbesonderheiten. Aus den Reihen des pädagogischen Fachpersonals wurde die Bitte nach einem Buch an mich herangetragen. Dieser Bitte komme ich gerne nach.
Aber warum eigentlich nur für Fachpersonal? Diese Frage stellte ich mir. Immer wieder durfte ich erleben, wie dankbar Eltern und andere Bezugspersonen für Informationen und das Erkennen von Zusammenhängen waren. Als mich dann noch Nachfragen seitens der Fortbildungsteilnehmer*innen nach einem Buch erreichten, konkretisierte sich die schon schlummernde Idee.
So ist dieses Buch entstanden. Es ist erzählend geschrieben. So, als würden wir einen Tee oder Kaffee zusammen genießen und uns zu diesem Thema austauschen.
Es ist für Mama und Papa, Oma und Opa, Tante und Onkel und Nachbarn geschrieben. Für alle Menschen, die bereit und interessiert sind, Kinder (oder Menschen überhaupt) wirklich zu verstehen, sich in sie einzufühlen,
damit ein guter Kontakt gelingen kann und nahe Beziehungen entstehen können. In solch einem guten Kontakt bekommen Kinder in ihrer Individualität angemessene Entwicklungsmöglichkeiten und können sich und ihr Umfeld positiv erfahren.
Mit einem Verständnis über ihre Besonderheiten können wir ihnen gerecht werden.
Es wäre schön, wenn sich bei der Lektüre dieses Buches das Gefühl der Nachvollziehbarkeit bei Ihnen einstellen kann. So kann Ihr persönlicher Umgang mit Besonderheiten bei sich selbst oder bei anderen sicher für alle Beteiligten ein Gewinn sein.
Die Fallbeispiele in meinem Buch entspringen meiner praktischen Arbeit, die Namen der Kinder dagegen sind beliebig.